Kathrin Heckmann ist „Fräulein Draußen“, Deutschlands bekannteste wandernde Bloggerin. Ihre Leidenschaft fürs Draußensein wurde eines Tages so groß, dass sie ihren Job als Marketing-Managerin aufgab und beschloss, das Wandern und Reisen zu ihrem Beruf und Alltag zu machen. Es war der Beginn eines neuen Jahres.
Nach dem ich den Entschluss fasste, dieses alte Leben umzukrempeln. Von drinnen nach draußen – im wahrsten Sinne.
Eine Zeit also, die wie keine andere gemacht war für fundamentale Lebensentscheidungen. Die Zeit, zu der immer alles ganz anders werden soll und doch selten wird. Wenn Menschen bis an den Rand mit guten Vorsätzen und weisen Entschlüssen gefüllt sind und dann letztendlich doch den Willen oder den Mut oder gar den Wunsch selbst wieder verlieren. Ich hatte mir keine Vorsätze zurechtgelegt, das tat ich eigentlich nie. Auch weil mein Lebensstil alles in allem doch ziemlich akzeptabel war. Vegane und gesunde Ernährung: Check. Regelmäßig Sport treiben: Check. Wieder mehr Bücher lesen: Sowieso. Mit dem Rauchen aufhören: Schon vor vielen Jahren geschehen.
Nun wollte ich etwas anderes. Ich wollte Luft atmen, die nicht von Klimaanlagen gefiltert war, und an ihrem Geruch erkennen, welcher Monat gerade war. Nicht durch den Blick auf den Kalender. Ich wollte dem Himmel dabei zusehen, wie er langsam seine Farbe änderte, ohne dabei die meiste Zeit des Tages durch eine Glasscheibe zu starren. Ich wollte nicht über Stapel von Aktenordnern stolpern, sondern über Baumwurzeln. Nicht von Weckern, sondern von dem Gezwitscher der Vögel geweckt werden, und wenn irgendetwas in meinem Leben flimmerte, dann sollten es die echten Sterne sein – auch wenn die eigentlich gar nicht flimmern, sondern nur den Anschein erwecken, wenn ihr Licht auf die wabernden Luftschichten der Erdatmosphäre trifft. Und abends wollte ich mir die schmerzenden Schultern reiben. Nicht etwa, weil ich mal wieder acht Stunden oder mehr am Schreibtisch gesessen hatte, sondern weil sich in dem Rucksack, den ich den ganzen Tag auf dem Rücken getragen hatte, alles befand, was ich zum Leben brauchte. Und selbst so ein aufs Wesentliche reduziertes Leben wog eben doch ein paar Kilo, das hatte ich auf meinen vergangenen Reisen und Wanderungen bereits gemerkt. Nun war ich bereit auf eine neue Art mein Leben zu erwandern. Bereit neue Wege zu gehen. Unter einer Bedingung: Im wollte einfach nur draußen sein. Draußen unter Sternen. Draußen unter Bäumen. Draußen in der Stille. Draußen bietet so viel mehr.
Der Ruf der Eule
Draußen hab ich die Sterne neu entdeckt. Ich, mit meinem leuchtend gelben Zelt auf einem einsamen Berggipfel, im Hintergrund nichts als unendlich erscheinende Weite, der erste sanfte Schimmer eines neuen Tages und Milliarden leuchtender Punkte, die in ihrer Gesamtheit jene Galaxie formen, die unser Zuhause ist. In einigen Milliarden Jahren wird die Milchstraße mit ihrem galaktischen Nachbarn, dem Andromedanebel, zusammenprallen. Und auch wenn dabei vielleicht einige Sterne auf der Strecke bleiben werden, werden sie zusammen einen völlig neuen, noch viel spektakuläreren Nachthimmel bilden. Bis es so weit ist, ist die Milchstraße aber auch nicht gerade der schlechteste Anblick. Oder besser gesagt: der vielleicht schönste Anblick, den ich mir nur vorstellen könnte. Draußen, in einem Nationalpark in den USA, hat der Ruf einer Eule meine Seele berührt. Diese Gegend war der mit Abstand wildeste Ort, an den mein Körper und meine Seele bis dahin gereist waren. Jeder Strauch, jeder Stein war ungezähmter als alles, was ich bisher kannte. Natur in Reinform, die mich fest in ihren Bann zog, mich einfach so zu einem Teil von ihr machte. Und das, obwohl ich doch eigentlich gar keine Ahnung von alldem hatte und mein Leben zu Hause in jeglicher Hinsicht so weit entfernt von dieser Welt war, wie es nur sein konnte. Die Eule, die, jetzt unterhalb von mir und nach wie vor für meine Augen unsichtbar, in einem der Bäume saß und zwischendurch ein „Huh“ von sich gab, war meine Brücke zu dieser Welt. Ich lauschte ihr noch eine ganze Weile, bis sie sich irgendwann erhob und in lautlosem Flug in die Dunkelheit davonglitt, zu der Grenze, ab der meine Augen ihre Gestalt nicht mehr von der Farbe der Nacht unterscheiden konnten, und darüber hinaus. Meine Eule war fort, aber ich blieb noch ein bisschen, sah ihr nach, auch nachdem ich sie schon lange nicht mehr sehen konnte. Der Sandstein unter meinen Händen und Füßen war warm und weich, also so, wie Stein eigentlich niemals ist. Der Nachthimmel spannte sich endlos über mich und die Wüste, und ich waren gleichzeitig so groß wie das Zentrum des Universums und so klein wie ein Sandsteinkörnchen im Wind. Am liebsten wollte ich nie wieder weg von dort. Und gleichzeitig wollte ich überallhin.
Der beste Weg
Ich bin nicht mehr der gleiche Mensch, der noch nicht wusste, dass Eulen lautlos fliegen und Steine auch weich und warm sein können. Die Eule in der Wüste hat damals eine Barriere eingerissen, die mich sowohl von mir selbst als auch von der Welt ferngehalten hatte. Heute fühle ich mich mit beidem viel mehr verbunden, und ich trage eine Freude und Begeisterung in mir, die ganz unabhängig von allen Lebensumständen immer an meiner Seite ist. Es ist ein Glück, das tiefer sitzt als die Freude über ein paar neue Instagram-Likes. Wenn es eine Sache gibt, die mich zu einem glücklicheren Menschen gemacht hat, eine Fähigkeit, auf die ich stolz bin, dann die, dass ich mich im richtigen Moment auf meine Intuition verlassen habe und das bis heute tue. Dass ich trotz aller Vernunft und Rationalität zwischendurch einfach sage: „Wisst ihr was? Ich mach das jetzt einfach!“ Das kann eine große Reise oder ein kleiner Ausflug sein, eine große Lebensentscheidung oder einfach nur eine Korrektur des Kurses. Es gehört manchmal ein bisschen Mut dazu, eigentlich aber benötigt man vor allem eines: einen Rucksack mit den Dingen, und zwar nur den Dingen, die man wirklich braucht, um am Ende des Tages zufrieden zu sein. Und es gibt für mich keinen besseren Weg als einen Wanderweg, um herauszufinden, was das ist.
Lesen Sie den ganzen Artikel im ENGELmagazin Juli/ August 2020.
Kathrin Heckmann ist Chef-Abenteurerin des Blogs „Fräulein Draußen“, der zu den erfolgreichsten Outdoor-Reiseblogs im deutschsprachigen Raum zählt. Dort schreibt sie seit 2013 über ihre Reisen, Wanderungen und Erlebnisse in und mit der Natur. Zuvor studierte die Autorin Kommunikationswissenschaft, Journalismus und Skandinavistik an der Universität Wien und arbeitete anschließend einige Jahre als Marketing- und Medienspezialistin für große Konzerne. Mehr Informationen: www.fraeulein-draussen.de. Aktuelles Buch im Ullstein-Verlag: „Fräulein Draußen. Wie ich unterwegs das Große in den kleinen Dingen fand“.