… oder ist dieser Zufall vielleicht ein Wunder? Neulich hat Barbara Pachl-Eberhart einen Vortrag gehalten, vor genau 50 Menschen. In einem Saal im Gemeindeamt von Vomp, neben der Bücherei. Wie lustig: Der Saal war voll besetzt. Soll heißen: Auf jedem der Stühle, die aufgestellt waren, saß jemand. Und niemand musste stehen.
Noch dazu verteilten sich die Stühle so gut im Raum, dass es wirklich „gut voll“ war.
Jetzt könnten Sie denken: Klar, da hat es sicher Anmeldungen gegeben und die Veranstalter haben halt gut reagiert. Aber nein. Es war ein Abend ohne Karten, mit Spendenkörbchen. Keiner konnte wissen, wie viele Menschen kommen werden. Ein Zufall? Ja und nein.
Ich reise ja jetzt schon seit vielen Jahren herum, zwischen Hamburg, Sankt Pölten und Bozen. Und das Wunder, dass die Plätze genau reichen, begegnet mir öfters. Geschätzt bei jedem vierten Mal, wenn ich zu Menschen spreche. So oft, dass ich mir heute einmal Gedanken darüber machen will. Ich nenne es Wunder und meine damit: einen Zufall, der schön ist, der mir das Gefühl gibt, dass da etwas stimmt, dass etwas es gut meint mit mir und dem Abend und allen, die da sind. Ein Wunder als augenzwinkernde Bestätigung des Lebens (und Himmels), die sagt: „Ja, es passt.“
Ich will heute, um dem Wunder näherzukommen, erst einmal behaupten, dass das alles kein Wunder ist. Tun wir doch so, als könne man es erwirken. Als könne man, durch Kombination von Strategien, genau das erreichen: dass an einem Abend, für den es keine Voranmeldung gibt, jeder Platz besetzt ist und niemand stehen (oder am Fensterbrett sitzen) muss.
Ich meine das nicht zynisch, nicht im Sinne von: Probieren wir es und wir werden merken, wie absurd die Idee ist. Sondern ich meine es so: Es haben ja viele beigetragen zum Vortrag in Vomp und dessen Gelingen. Und es tragen immer viele bei, wenn ich reise und spreche, wenn Menschen kommen, um zuzuhören. Die, die beitragen, sind beteiligt am Wunder. Sie bewirken es nicht, sie können es nicht garantieren. Aber sie machen ihn gut, ihren Teil.
Vielleicht kann ich, wenn ich diese Teile betrachte, etwas lernen, darüber, wie man Wunder begünstigt. Wie man sie einlädt. Ohne Gewähr, aber in guter Hoffnung.
Punkt eins: Erfahrung. Wie viele Menschen kommen, wenn Vomp etwas ausschreibt? Und wie viele kommen in Freistadt oder Berlin? Es sind nicht überall 50. Hier hundert, da dreißig, zum Kabarett vielleicht je doppelt so viele. Die Erfahrung hat eine Stimme, die mithilft.
Gilt das auch für andere Wunder? Ich denke schon. Meine eigene Erfahrung zum Beispiel kennt Orte, an denen Wunder eher geschehen: in der Natur, unter herzlichen Menschen, an Orten, die auch die Stille erlauben. Sie kennt auch Verfassungen, in denen ich empfänglich für Wunder bin: ausgeschlafen, sortiert und angstfrei, kein falsches Essen im Bauch, warm genug angezogen, aber nicht so, dass ich schwitze. So sage ich Wundern gerne hallo. Und sie mir.
Punkt zwei: die Reserve. Es gibt ja bei fast jedem Saal so ein Hinterzimmer. Einen Nebenraum, indem sich Stühle türmen, die nicht aufgestellt wurden. Diese Reserve sorgt für Entspannung. Man stellt einfach mal auf, nach Gefühl. Wenn mehr kommen, kann man immer noch … (passiert auch immer wieder).
Vielleicht ist es diese Entspannung, die das Bauchgefühl fördert und es nicht mit Sorge und Zweifel belegt. Wenn man ein Wunder in Stein meißeln will, zögert es vielleicht, zu uns zu kommen. Wenn man sich selbst jeden Spielraum nimmt, stellt sich vielleicht etwas in den Weg, zwischen das Wunder und den, den es besuchen mag.
An dieser Stelle einmal ein Dank an das Team des Engelmagazins. „Macht gar nichts“, das habe ich immer wieder als Antwort bekommen, wenn ich mein Spielraum-Gefühl fast verloren hätte, weil die Zeit knapp wurde und einfach noch kein Wunder um die Ecke spaziert war. Sobald ich wusste, man schenkt mir noch Zeit, huschte es meistens durchs Fenster. Oder es packte mich am Weg zum Bäcker am Schopf.
Ich kenne das auch von WhatsApp. Manchmal starte ich die Aufnahme, um meiner Freundin etwas zu erzählen – und vergesse dann prompt, was es war. Ich sage: Warte kurz, stoppe die Aufnahme – und natürlich fällt es mir dann gleich wieder ein.
Noch ein Dank: Meine Arbeitgeber, die Roten Nasen Clowndoctors, gaben mir 2008 unendlich viel Zeit. Nach dem Tod meiner Familie stellten sie mich frei, bei vollem Gehalt. „Komm wieder, wenn du bereit bist“, sagten sie damals. Vielleicht genau deshalb ging es sehr schnell. Schon ein paar Wochen später setzte ich wieder die rote Nase auf, freiwillig und dankbar.
Uns selbst und anderen Spielraum geben, in Form von Zeit, vielleicht auch von Geld (danke immer wieder, Mama und Papa, vor allem in der Corona-Zeit) oder in Form von Stille, die wartet, ohne zu drängen. Im Zwischenraum zwischen Muss und Muss-Nicht sprießen Wunder ganz gut.
Ein letzter Gedanke: Ich weiß nicht, wie die Anzahl der Sessel im Raum bestimmt werden, wenn Veranstalter meine Vorträge planen. Aber ich glaube, es ist so: Man überlegt gemeinsam. Und letztlich legt einer der Beteiligten die Anzahl fest. Die anderen geben ab – und vertrauen. Gemeinsam nachdenken, reden, Beobachtungen und Erfahrungen teilen. Manchmal loslassen, manchmal nach vorn, an die Speerspitze des Entscheidens und „Machens“ gehen. Können wir so Wunder möglich machen? Sie ahnen meine Antwort. Natürlich lautet sie ja.
Barbara Pachl-Eberhart, 47, arbeitet als Autorin und Schreibpädagogin in Wien. Ihr Buch „Wunder warten gleich ums Eck“ ist im Integral-Verlag erschienen und jetzt auch als Taschenbuch erhältlich. Aktuelles Buch im Terzium-Verlag: „Chopin besucht Vivaldi und in der Bucht von Venedig schwimmen Delfine. Mein Tanz mit dem kleinsten Feind der Welt. Ein Corona-Tagebuch“. Für das ENGELmagazin geht sie auf die Suche nach den Wundern des Alltags. Alle Bücher der Bestsellerautorin gibt es auch unter: www.mondhaus-shop.de. Mehr Informationen zur Autorin: www.barbara-pachl-eberhart.at