Schnee fällt in dichten Flocken auf die Fahrbahn und verwandelt sich vor den Scheinwerfern meines Wagens in grauen Matsch, doch an den Seitenstreifen ist trotz der Dunkelheit bereits ein weißer Rand zu sehen. Das Autofahren ist anstrengend, auch wegen des Verkehrs auf der viel befahrenden Straße. Im Radio läuft der alte Song von Chris Rea „Driving home for Christmas“ und unwillkürlich fange ich an mit zu summen. Auch ich freue mich auf Weihnachten mit meiner Familie, schließlich ist heute der 23. Dezember und es dauert nicht mehr lang. Ich bin so in Gedanken, dass ich fast an der Abfahrt vorbeigefahren wäre. Schnell reiße ich das Lenkrad herum und biege in die kleine Nebenstraße ab. Ein wenig rutscht der Wagen zur Seite bevor er wieder sicher auf der Straße liegt. Ich atme einmal tief ein und aus und bedanke mich bei meinem Schutzengel. Plötzlich jedoch erstirbt das Fahrgeräusch. Während ich noch überlege, was zu tun ist, rollt der Wagen aus und bleibt stehen. Die Motorkontrollleuchte erscheint in der Anzeige im Cockpit.
„So ein Mist“ entfährt es mir und schaue ratlos in das Schneetreiben. Nach einen Blick ins
Handbuchs wage ich nicht, das Fahrzeug erneut zu starten. Statt dessen rufe ich den Pannendienst an. Die freundliche Dame am Telefon erklärt mir, dass es sicher eine Stunde oder länger dauern wird, bis der Wagen kommt. Anschließend rufe ich meinem Mann an, um ihm von dem Missgeschick zu berichten. Dankbar zu hören, dass ich gesund und munter bin, bietet er mir an mich abzuholen, doch ich lehne ab. „Kümmere Du dich um dich um die Kinder, ich bin bald zu Hause“ antworte ich statt dessen.
Danach bleibt nichts weiter zu tun, als abzuwarten. Um die Batterie zu schonen, schalte ich die Zündung aus, sehe auf Display meines Handys, dessen Akkustand auch nur noch wenige Prozent beträgt. So schalte ich es auch aus und sitze minutenlang reglos im Wagen. Stille umfängt mich, ebenso wie Dunkelheit.
Doch was ist das? Ist da vorne nicht ein Licht? Mit einem Ruck richte ich mich auf, greife nach Mütze und Handschuhe und steige aus dem Wagen. Die weiße Decke liegt inzwischen zentimeterhoch und bedeckt die Zweige der umliegenden Tannen, doch glücklicherweise hat es aufgehört zu schneiden. Ich stapfe auf das Licht zu, dass sich als eine Art beleuchtete Punschbude entpuppt, nur ohne Punsch. Statt dessen steigt mir verführerischer Plätzchenduft in die Nase. „Möchten Sie eines?“ ein junges Mädchen, in ihrem grünen Kostüm gekleidet wie eine Elfe, schaut mich auffordernd an und hält mir ein großes Tablett mit Weihnachtsgebäck entgegen. Da kann ich nicht wiederstehen und bediene mich. „Die sind ja köstlich“ entfährt es mir und greife erneut zu. „Verraten Sie mir das Rezept?“ Doch die Elfe schüttelt nur lächelnd den Kopf und die Glöckchen an ihrer Mütze klingeln leise.
„Möchten Sie nicht eintreten?“, fragt sie statt dessen. Mein Blick fällt auf das große beleuchtete Schild über einem schmiedeeisernen Tor. Warum ist mir das nicht vorher aufgefallen?, frage ich mich, als ein weiterer Elf auf mich zutritt, sich elegant verbeugt und mich und mit den Worten begrüßt:„ Willkommen im Magischen Lichterwald – Lass dich verzaubern – Der Eintritt ist kostenlos“
Ein wenig belustigt schaue ich ihn an und antworte dann: „Warum nicht, ich habe Zeit“. Woraufhin er einen großen Eisenschlüssel hervorholt, mit dem er das Tor aufschließt. Lautlos gleitet es durch den Schnee und gibt den Weg frei. Ich wende mich um, schaue die beiden identisch gekleideten Elfen an und frage: „Kommen Sie nicht mit?“ Wieder klingeln die Glöckchen und das Tor schließt ebenso leise hinter mir, wie es sich zuvor geöffnet hat.
„Folge dem Licht“ höre ich noch und stapfe langsam durch den Schnee, der unberührt vor mir liegt. Die Tannen, um mich herum werden von goldenem Licht beleuchtet und säumen einen gewundenen Pfad, der meine Neugier weckt. Bald erstrahlt alles in violettem Licht, dass mich mit seiner Intensität durchdringt, und als ich langsam weitergehe wechselt es zu blau, grün, orange und gelb und am Ende bilden alle Farben zusammen einen wunderschönen Regenbogen. Vor Staunen bleibt mir der Mund offenstehen. Es scheint, als ob die Farben meinen gesamten Körper durchdringen. Hinter der nächsten Kurve gelange ich auf eine Waldlichtung, in dessen Mitte sich eine mächtige Fichte befindet. Die bunten Farben verblassen, statt dessen wölbt sich über mir das gewaltige Himmelszelt mit seinen funkelnden Sternen. Wo sind nur die Wolken geblieben, frage mich noch, und schaue bewundernd nach oben. Einer der Sterne scheint auf mich zuzukommen, umschwirrt
meinen Kopf. Dann gleitet die Lichtkugel zwischen mir und den Tannen hin – und her, versteckt sich, nur um dann an unerwarteter Stelle wieder aufzutauchen.
Fasziniert schaue ihr zu, wie sie den Schnee mit einem Glitzern überzieht. Eine leise Melodie erklingt. Ergriffen schließe ich die Augen und lausche. „Stille Nacht, Heilige Nacht“ singt ein unsichtbarer Chor mit engelsgleichen Stimmen. Eins mit der Natur um mich herum, breitet sich in mir ein Gefühl des tiefen inneren Friedens aus. Die Musik verklingt und ich öffne die tränenfeuchten Augen. Die Lichtkugel krönt nun die Spitze der
Fichte, alles ist still. Minutenlang stehe ich reglos da und genieße die magische Atmosphäre. Ein leises Klingeln ertönt. Im respektvollem Abstand stehen die beiden Elfen am Waldrand. Ihre sanfte Stimme holt mich langsam in die Wirklichkeit zurück. „Es ist Zeit zurückzukehren, der Abschleppdienst ist da.“
Die Zwei begleiten mich noch bis zur Straße, da blicke ich mich noch einmal um: „Danke!“ sage ich, „Das war wirklich wunderschön, wie haben Sie das nur gemacht?“
Lächelnd schauen sie mich an. Dann frage ich: „Kann ich morgen wiederkommen? Ich würde meiner Familie gerne eine Freude machen. Verkaufen Sie mir ein paar Eintrittskarten?“ Nach einem kurzem Zögern zieht der Elf ein länglichen, mit goldener Schrift verzierten Umschlag aus seinem Umhang und überreicht ihn mir mit einer eleganten Bewegung „Für Dich – ein Weihnachtsgeschenk“. Stunden später erreiche ich mein Zuhause. Meine Familie ist inzwischen schlafen gegangen und so lege ich den Brief zu den anderen Geschenken unter den Weihnachtsbaum.
Am Folgetag berichte ich ihnen von meinem aufregenden Erlebnis. Am liebsten würden wir uns sofort auf dem Weg machen, doch erst einige Tage später ist es so weit. Schnell erkenne ich die Stelle am Fahrbahnrand wieder, an der mein Wagen stehengeblieben ist. Wir parken und steigen aus. Doch so sehr wir uns auch bemühen, der Eingang zum Magischen Lichterwald ist nicht zu finden. Schließlich ziehe ich den Umschlag hervor in der Hoffnung, dort einen Hinweis auf die genaue Adresse zu finden.
Langsam falte ich den wunderschön verzierten Brief auf und lese: